Luise von Anhalt-Dessau und die Fürstinnen der Aufklärung

Luise von Anhalt-Dessau und die Fürstinnen der Aufklärung

Organizer(s)
Dessau-Wörlitz-Kommission
Location
Dessau
Country
Germany
From - Until
25.10.2003 -
Conf. Website
By
Jörn Garber, Halle

In den sechziger Jahren wurde eine Kommission zur "Erforschung und Pflege des Dessau-Wörlitzer Kulturreichs" gegründet, um die wissenschaftliche Erschließung dieser einzigartigen Schloß- und Gartenlandschaft, die im November 2000 in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen wurde, zu ermöglichen. Nach der politischen Wende dauerte es bis zum Jahr 2000, bis die Kommission durch ihre Anbindung an das 1993 gegründete universitäre "Interdisziplinäre Zentrum für Erforschung der Europäischen Aufklärung" in Halle eine wissenschaftliche Heimat fand. Lange Zeit zogen die Jahrestagungen lediglich das Interesse der Kommissionsmitglieder auf sich. In diesem Jahr war die erklärte Absicht der Organisatoren Wilhelm Haefs und Holger Zaunstöck (Halle), eine größere Öffentlichkeit zu erreichen und überregionale Aufmerksamkeit für das Dessau-Wörlitzer Kulturreich zu wecken. Diese Ambitionen unterstrich auch der Kommissionsvorsitzende, Gunnar Berg (Halle), der die Besucher im Tischbeinsaal des Schlosses Georgium in Dessau, der für die Veranstaltung freundlicherweise von der Anhaltinischen Landesgalerie zur Verfügung gestellt wurde, begrüßte. In der Tat gelang erstmals die Verbindung von wissenschaftlicher und kultureller Intention, die Veranstaltung wurde zu einem gesellschaftlichen Ereignis, das, nicht zuletzt durch ein Konzert ‚zeitgenössischer' Musik, über das Wissenschaftliche weit hinausging.

Einleitend skizzierten Holger Zaunstöck und Wilhelm Haefs die biographische Forschungsperspektive sowie die methodischen Zugänge in der Geschichtswissenschaft und der Genderforschung. Holger Zaunstöck korrigierte eingeschliffene Legenden der biographischen Forschung zu Luise von Anhalt-Dessau. Er kritisierte das Klischee von der kranken und melancholischen Fürstin und wies darauf hin, daß man mit den Methoden der traditionellen Frauenforschung die historische Gestalt Luises nicht erfassen könne. Man müsse sie in ihrer Individualität als Frau und Fürstin wahrnehmen, obwohl die höfische Einbindung es ihr niemals wirklich gestattete, autonom zu handeln. Diese Spannung zwischen höfischer Etikette und bürgerlichen Verhaltensdispositionen wurde von den Zeitgenossen nur bedingt erkannt, wenn man Luise als Melancholikerin oder als Person von ‚innerem Adel' charakterisierte, ohne ihre Statusbindungen zu berücksichtigen. Sie mußte nicht nur den Widerspruch zwischen adligem Status und bürgerlicher Individualität aushalten, sondern auch gemeinnütziges, geselliges, empfindsames und höfisches Rollenverhalten in Einklang bringen. Inwieweit diese Spannungen der Fürstin selbst bewußt waren, wird man nur klären können, wenn man ihre Tagebuchaufzeichnungen (4500 Seiten!) auswertet.

Diese überaus anregenden neuen Perspektiven auf die Fürstin Luise wurden von Wilhelm Haefs in den weiteren Kontext der geschichtswissenschaftlichen Fürstinnenforschung und modernen Genderforschung gestellt. Die klassische Genderforschung wurde in seinem Aufriß der Forschungsperspektiven durch die moderne Kulturgeschichtsschreibung korrigiert, weil sich gesamtgesellschaftliche Konstellationen im Medium einer partikularen Gender- Perspektive nicht angemessen nachzeichnen lassen. Luise geht weder im höfischen Prospekt noch in einem Selbst-Entwurf von Weiblichkeit auf, vielmehr besetzt sie eine Vielzahl von Rollen, die inkompatibel erscheinen und nicht zu einer festen Identität führten. So betreibt sie eine extensive Selbstanalyse (mittels Tagebuch), tritt als Mäzenatin und Dilettantin auf, gleichwohl immer auch als Fürstin, bewegt sich zwischen Hofetikette und Freundschaftsideal, zwischen Selbstidealisierung und durch Melancholie veranlassten Selbstzweifeln, zwischen einer Empfindsamkeit, die an der Grenze zur übersteigerten Selbstempfindung steht, und einer erstaunlichen Selbstdiagnostik (um dem von Johann Georg Zimmermann erkannten "Dorn im Herzen" zu trotzen). Die Widersprüche lassen sich nicht im Rekurs auf individuelle Verhaltensdispositionen einer Fürstin, sondern durch Analyse der Rollenspiele und vorgegebenen Handlungskonzepte einer fortdauernden Ständegesellschaft erklären, die sich im Medium bürgerlicher Empfindsamkeit ganz neu erfährt.

Diese weitausgreifenden, differenzierten Reflexionen über die methodisch komplexe Rollenbestimmung einer Fürstin im Übergang zur bürgerlichen Kultur wurde in den weiteren Vorträgen lediglich von York-Gothart Mix (Marburg) in voller Breite aufgenommen. In seinem weitgespannten Überblicksvortrag über die "Empfindsame Frau am Hofe" (in Anspielung auf Johann Michael von Loens Roman Der redliche Mann am Hofe von 1742) skizzierte Mix die Diskurse der Aufklärer über die literarische Bildung von Frauen, die Entstehung einer spezifisch weiblichen Geschmacksbildung und die damit verknüpfte neue Literatur, die an das weibliche Lesepublikum adressiert war. In seinem souveränen Vortrag spannte er den Bogen von Gottscheds Moralischer Wochenschrift Die Vernünfftigen Tadlerinnen, mit den Anfängen der Diskussion über die Gleichheit der Geschlechter, bis hin zu den Zeitschriften der achtziger Jahre, in denen ein neues Programm des Selbstdenkens durch Lesen und einer thematischen Neuausrichtung auf die subjektive Erfahrungswelt der Frau entworfen wird.

In einem zweiten Schritt wurde der Einfluß der neuen Geselligkeitskultur auf den Kopenhagener Kreis sowie auf die deutsche Adelskultur Schleswig-Holsteins vorgestellt. Der Zusammenstoß von religiösem Erbauungsschrifttum und rationalistischer Aufklärung, das Unterlaufen dieses vermeintlichen Gegensatzes durch eine neue Schreibkultur ("Mein teuerster Plinius"), die neue affektive Normierung in der Briefkultur, aber auch die von adliger wie bürgerlicher Seite vorgetragene Kritik an den neuen Formen der Empfindsamkeit, verdeutlichen das Reflexionspotential der Literatur im Ausgang der ständischen Epoche. Die Fürstin Luise gerät so in den epochal-typischen Zwiespalt von Empfindsamkeit, religiösem Eskapismus, rousseauschem Natürlichkeitspostulat und idyllischer Naivität einerseits, ständisch-adliger Kulturprätention und bürgerlichem common sense andererseits.

In dem von Uwe Quilitzsch (Kulturstiftung Dessau-Wörlitz) mitgeteilten Lebenslauf der Fürstin waren zwei Ereignisse von besonderem Interesse: die Zwangsverheiratung der 17jährigen Luise von Brandenburg-Schwedt mit Leopold III. Friedrich Franz von Dessau (‚Vater Franz') in Anwesenheit von Friedrich dem Großen; sodann die Tatsache, daß sie 44 Jahre mit Fürst Franz verheiratet war, obwohl sie sich durch dessen langjährige außereheliche Beziehungen gedemütigt fühlte. Sie schloß sich dem großen Freundeskreis um den Schweizer Theologen Lavater an und nahm jede Möglichkeit zum Reisen wahr. Sie besuchte Frankreich, Italien, die Schweiz und England, um den teilweise bedrückenden persönlichen Verhältnissen und Zwängen am Hof zu entkommen. Doch der Drang nach Unabhängigkeit und kultureller Autonomie stieß immer wieder an Grenzen. Davon legen die lange Jahre geführten Tagebuchaufzeichnungen eindrucksvoll Zeugnis ab.

Die Kunsthistorikerin Anette Froesch (Dortmund) stellte in chronologischer und genrespezifischer Abfolge alle überlieferten Bildnisse der Fürstin Luise vor, die zwischen repräsentativer Fürstinnen-Darstellung und der Abkehr von der französisch-höfischen Tradition hin zur individualisierenden englischen Tradition changieren. In einem mit viel Beifall bedachten Vortrag deutete die Wissenschaftshistorikerin Johanna Geyer-Kordesch (Glasgow) das Lebensproblem der Fürstin Luise im Spiegel ihrer ehelichen Beziehung zu Franz. Ihre Hauptthese leuchtete unmittelbar ein: Die Melancholie der Fürstin sei nicht Ausdruck einer persönlichkeitsbedingten Krankheit, sondern ein gelebtes Konzept der Selbstbehauptung. Um dies zu illustrieren, wurde in einer Parallelbiographie Luises Freundin Elisa von der Recke als Muster einer aktiven, sich aus der Vormundtschaft des Mannes befreienden Frau mit dem Bild der empfindsamen, nicht zur Handlungsautonomie vorstoßenden Fürstin Luise kontrastiert. Beide Frauen durchbrachen damit auf ihre Weise die Rollenzwänge der höfischen Gesellschaft durch Privatisierung und Individualisierung.

Helga Meise (Aix-en-Provence) schloß an Geyer-Kordeschs These an, betonte aber, daß es gleichsam eine innere Spaltung zwischen Fürstin und Frau gebe, die einerseits durch die Normierung der höfischen Repräsentation und andererseits durch die neue individuelle "Herzensbestimmtheit" evoziert sei. Sie zeigte dies an den Beispielen von Caroline von Hessen-Darmstadt und Henriette Amalie von Anhalt-Dessau, die zwischen dynastischer Aufstiegssicherung und Selbstaufklärung durch Lesen und Schreiben in einen Konflikt zwischen privater und öffentlicher Rolle gerieten. Der abschließende Vortrag von Joachim Berger (Weimar) wandte sich den Formen höfischer Repräsentation und deren Interpretationen durch die Literatur der Klassik (insbesondere Wieland) zu. Der immer wieder als Vorbild gepriesene Weimarer Musenhof Anna Amalias erweise sich, so die zentrale These Bergers, als Fiktion, da der Gegensatz von höfischer Repräsentation und bürgerlichem Natürlichkeitsanspruch in Weimar nicht aufgelöst werden konnte.

Daß man den Dessau-Wörlitzer Kulturkreis überhaupt im Horizont der modernen Aufklärungsforschung differenziert diskutieren kann, verdanken wir dem Lebenswerk des halleschen Kulturhistorikers Erhard Hirsch. Nach 34 Jahren konnte endlich die gedruckte Fassung seiner grundlegenden Dissertation zum Dessau-Wörlitzer Kulturkreis in der Publikationsreihe des IZEA, den "Halleschen Beiträgen zur Europäischen Aufklärung", präsentiert werden. Jörn Garber (Halle) würdigte eindringlich Person und Werk von Erhard Hirsch und ordnete dessen Buch Die Dessau-Wörlitzer Reformbewegung im Zeitalter der Aufklärung in die Tendenzen der modernen Absolutismusforschung ein. Mit dem eindrucksvollen Konzert der vorzüglichen Sopranistin Monika Wiebe aus München und des italienischen Pianisten Stellario Fagone, in dessen Mittelpunkt der beziehungsreiche, glänzend interpretierte Liederzyklus Frauenliebe und Leben von Robert Schumann stand, klang die Tagung festlich aus.
Insgesamt war die Tagung ein verheißungsvoller Auftakt für die weitere Erforschung des Dessau-Wörlitzer-Kulturkreis im Spannungsfeld von höfischer Repräsentation und "bürgerlichem Bewegungsraum" (Karl Eibl).


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